Talk – Gründerland Schweiz mit Nicola Forster
Die Schweiz ist ein innovatives Land mit weltweit führenden Wissenschaftszentren die erfolgreiche Spin-offs hervorbringen, aber wie sieht die Ausgangslage für Gründerinnen und Gründer in der Schweiz heute konkret aus?
Willkommen zur zweiten Folge in unserer Podcastserie zum Thema «Gründerland Schweiz». In dieser spannenden Reihe beleuchten wir die vielfältigen Facetten der Schweizer Gründerszene und sprechen mit prägenden Persönlichkeiten. Unser zweiter Gast ist ein Gründer im politischen und gesellschaftlichen Sinn: Nicola Forster.
Nicola, du hast die grünliberale Partei Zürich und die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) präsidiert. Zudem hast du die beiden Think-Tanks «foraus» und «staatslabor» gegründet. Apropos Gründerland Schweiz: Der mythische Ort der Gründung Schweiz ist ja bekanntlich das Rütli. Es gibt eine Geschichte darüber, was dort vor über 160 Jahren passiert ist im Zusammenhang mit der SGG. Kannst du uns mehr über diese Geschichte erzählen?
Ja, das Lustige ist, dass das Rütli von Schiller beschrieben wurde, obwohl er selbst nie auf dem Rütli war. Schiller war nie in der Schweiz, er hat nur gehört, wie schön es dort ist. Goethe hingegen ist tatsächlich durch die Schweiz gereist und wollte den Wilhelm Tell schreiben, hatte dann aber keine Zeit und hat den Stoff Schiller überlassen, und so ist unser Nationalmythos entstanden.
Die SGG, die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft, die ich präsidiert habe, wurde 1810 gegründet, also noch vor der modernen Schweiz. Vor 160 Jahren machte die SGG eine Exkursion und kam dabei am Rütli vorbei. Sie sahen, dass auf dem Rütli ein Bauwagen stand und fragten, was das sei und was dort passiere. Da hat man ihnen gesagt, dass das Rütli mit einem Hotel überbaut werden soll. Da haben sie gesagt: «Als gute Patrioten müssen wir es retten!». Dann haben sie eine nationale Sammelaktion organisiert. Heute würde man das Crowdfunding nennen. Mit Hilfe der Jugendlichen und Kinder, die in der ganzen Schweiz, vor allem in den Städten, Geld gesammelt haben, um das Rütli zu retten, konnten sie das Rütli kaufen und so den Hotelbau verhindern.
Ein Jahr später wurde beschlossen, das Rütli der Schweiz, der Eidgenossenschaft, zu schenken und im Gegenzug die Verwaltung zu übernehmen, was bis heute so geblieben ist. Deshalb werden zum Beispiel die 1. August-Feiern auf dem Rütli von der SGG organisiert. Das war in den letzten Monaten immer wieder in den Medien, weil unter anderem der Nationalrat der Meinung war, man solle der SGG die Verwaltung wieder wegnehmen. Man sieht, das Rütli ist ein sehr umstrittener, symbolisch aufgeladener Ort. Aber es ist natürlich spannend, in so einer Rolle zu sein.
Die Schweiz war ja schon vor 160 Jahren in einem Spannungsfeld, und ich glaube, der Zweck des Kaufs der Rütliwiese war eigentlich eine Geste, um den Konflikt zwischen Konservativen und Liberalen etwas zu kitten.
Genau, man brauchte damals ein Symbol. 1848 wurde die moderne Schweiz gegründet, was für die Liberalen und später auch für die Linken zu einem wichtigen Datum wurde. Natürlich ist auch der Mythos von 1291 sehr wichtig, für die Konservativen und auch für die Kantone, die im Sonderbundskrieg verloren haben. Man suchte damals nach verbindenden Elementen, um auch etwas von den Verlierern zu feiern.
Deshalb ist das Rütli so wichtig, weil es ein Symbol der alten Schweiz ist. Deshalb feiern wir den 1. August und nicht den 12. September 1848. Wir feiern die alte mythische Schweiz, um eine Brücke zu schlagen zu den damaligen Verliererkantonen, die im Sonderbundskrieg verloren haben. Ich glaube, es war eine sehr kluge Entscheidung, nicht einfach die Symbolik des modernen Neuen zu nehmen, sondern zu versuchen, die Verlierer mit ins Boot zu holen.
Zurück zum Thema «Gründen»: Du hast keine Unternehmen im ökonomischen, sondern im politischen Sinne gegründet, nämlich die bereits erwähnten Think-Tanks «staatslabor» und «foraus». Was war deine Motivation dazu?
Ich habe Jura studiert und hatte eigentlich bei einer Anwaltskanzlei unterschrieben, um dort als Rechtsanwalt im internationalen Bereich tätig zu werden. Das Internationale hat mich schon immer fasziniert. In den letzten Monaten meines Studiums durfte ich dann eine politische Kampagne leiten für die Personenfreizügigkeit. Da ging es um die Ausdehnung auf Bulgarien und Rumänien, da wurde abgestimmt und da durfte ich die Jugendkampagne in der ganzen Schweiz leiten für alle Parteien, die dafür waren. Eine war nicht dafür, ich sage nicht welche. Da habe ich gemerkt, dass ich ein Talent habe, Leute zusammenzubringen und auch politisch eine Geschichte zu entwickeln, die vor allem für junge Leute funktioniert.
Die Generation «Erasmus», die Generation «Easyjet», wie sie negativ genannt wurde, die hat auch ein Lebensgefühl und die Erwartung, in einer vernetzten Welt weiterleben zu können. Dafür braucht es ein politisches Angebot und ich habe gemerkt, dass mich das fasziniert. Ich habe ein bisschen ein Talent dafür und möchte mich dafür einsetzen. Parallel dazu habe ich gesehen, dass ich jetzt Anwalt werden könnte, also etwas ganz anderes. Ich habe damals gespürt, dass mein Herz für das Unternehmerische schlägt, für das Gestalten, für das Machen. Deshalb habe ich die andere Laufbahn letztlich nicht eingeschlagen, sondern voll auf das Unternehmertum gesetzt und von meinen Eltern ein Darlehen von 10’000 Franken aufgenommen, um das erste Jahr irgendwie überbrücken zu können.
Bald darauf konnten wir eine erste Person einstellen, einen Geschäftsführer und so weiter. Wenn du einmal im Gründermodus drin bist, dann ist es extrem schwer wieder herauszukommen. Dann gerätst du immer in das Nächste hinein. Die «Operation Libero» war dann quasi das erste Spin-Off von «foraus», dem Think-Tank, den wir zuvor gegründet hatten. Das «staatslabor» war dann eine weitere Gründung zu einem späteren Zeitpunkt als ich bemerkt habe, dass es einen grossen Bedarf für das Thema Innovation in der Verwaltung, in der Regierung gibt.
Das Gründen gibt einem Adrenalin, man merkt, dass man mit seiner Energie wirklich etwas aufbauen kann, und dann ist es sehr schwer vorstellbar, wieder in die andere Welt zurückzukehren, wobei ich in der anderen Welt nie wirklich gewesen bin.
Würdest du wieder gründen?
Ja, unbedingt. Ich glaube, wenn man mit 25 Jahren etwas gründet, ist das eine enorme Erfahrung. Du musst auch bereit sein, auf einiges zu verzichten, vor allem finanziell. Wenn ich Rechtsanwalt in einer Wirtschaftskanzlei geworden wäre, dann wäre meine wirtschaftliche Situation heute offensichtlich eine andere, aber das ist für mich nicht im Zentrum gestanden.
Was braucht es für eine erfolgreiche Gründung? Würdest du es jeder und jedem empfehlen?
Ich habe das Gefühl, dass wir in der Schweiz eigentlich schon eine Chance haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern haben wir ein Sozialnetz. Uns geht es gut. Viele von uns haben eine Ausgangslage, dass wir finanziell nicht darben müssen, dass wir oft eine gute Ausbildung haben, dass wir irgendwo ein Sicherheitsnetz haben. So dass man, auch wenn man nicht viel Geld hat, trotzdem den Schritt wagen kann.
Auch wenn es nicht klappt, hat man nicht gleich existenzielle Probleme. Deshalb wäre es meiner Meinung nach wünschenswert, wenn mehr Leute gründen würden. Es ist fast ein bisschen verwunderlich, dass so wenige Leute auf Startups setzen. Vielleicht liegt es daran, dass es uns gut geht. Also eine Art Honigtopf, in dem wir uns befinden.
Das Thema Misserfolg ist ein schwieriges Thema. Man spricht nicht gerne darüber. Gibt es etwas von dem du sagen würdest, dass da etwas nicht gelungen ist? Vielleicht hast du etwas daraus gelernt?
Ja, ständig. Ich glaube, als Gründer versucht man natürlich, mehr Erfolg zu haben als Misserfolg. Aber Scheitern gehört auch dazu. Wenn die Scheiterquote bei 49% liegt, dann ist man auf einem guten Weg. Das Scheitern wird heute auch ein bisschen zelebriert. Aber ich glaube trotzdem, dass es in der Schweizer Gesellschaft nicht gut ankommt, wenn man sieht, dass jemand auf die Nase gefallen ist.
Ganz anders als zum Beispiel in den USA. Im Silicon Valley ist es ganz normal, dass man zehn Sachen gemacht hat, von denen sieben gescheitert sind. Aber drei sind relativ gut gelaufen und eines ist super. Wenn man mit Gründern oder Gründerinnen aus den USA spricht: Selbst wenn sie nur etwas gegründet haben und es ist gescheitert, erzählen sie davon.
Was ist in der Schweiz anders? Sind wir Perfektionisten?
Ja, vielleicht auch das. Wir sind Perfektionisten. Du hast auch allgemein den Wunsch nach Sicherheit, welcher sich in unseren Institutionen, in unserem Sozialsystem ausgedrückt. Du siehst rund um dich herum Menschen, die in dieser Sicherheit leben. Dann zu realisieren: «Ich bin der, der scheitert und meine Peers haben es alle geschafft.» Das ist natürlich nicht schön, oder?
Hingegen wenn du im Silicon Valley bist, realisierst du: Alle anderen scheitern auch laufend. Aber es hat auch ein paar die wirklich grosse Sachen machen. Ich habe mal zwei Jahre in New York gelebt und fand das immer sehr beeindruckend, diesen Spirit, wieder aufzustehen und das nächste Ding zu machen. Man muss aber auch sagen, dass vielleicht auch das Thema psychische Probleme, das jetzt zum Glück immer mehr zum Thema wird, sehr relevant ist. Ich glaube, so einen Lifestyle kann man fast nur leben, wenn man gesund ist. Wenn du dich richtig auspowern kannst. Ich glaube, das ist ein bisschen die Kehrseite des Modells in den USA. Wenn man dort abstürzt, dann richtig und dann tut es weh. Bei uns sind die Ausschläge nach oben nicht so stark, aber nach unten auch nicht. Das ist das Schöne an unserem System.
Aber zurück zum Thema Scheitern. Ich glaube, wir hatten in diesen Organisationen immer wieder relativ existenzielle Fragen, wo wir nicht wussten, ob wir in drei Monaten noch unsere Gehälter finanzieren können. Für mich war es nie ein Problem, Risiken einzugehen. Ich bin immer «all-in» gegangen. Ich denke, wenn es nur dich betrifft, kannst du es aushalten. Aber von dem Moment an, wo du Gehälter zahlst, wo es Abhängigkeiten gibt, wird es komplizierter.
In meinen ersten Organisationen waren alle 25 Jahre alt. In dem Alter ist es nicht so dramatisch, wenn ein Job ausläuft und man etwas anderes suchen muss. Aber wenn du es mit 40-, 50-, 60-Jährigen zu tun hast, wo es um Themen wie Familie, Rente und so weiter geht, dann ist es schon schwieriger. Dann hast du eher die schlaflosen Nächte, wenn du merkst, dass es vielleicht in einem halben Jahr vorbei ist. Das ist dann nicht nur schön.
Wo siehst du den volkswirtschaftlichen Nutzen des Unternehmertums?
Ich glaube der Nutzen ist riesig. Wenn man in der Geschichte zurückschaut: Die Schweiz war ein relativ armes Land. Während der Industrialisierung ist es gelungen, sich als innovatives Land zu positionieren. Das war eigentlich der Start vom Aufstieg. Damals ging es nicht nur um Grossunternehmen, was später oft der Fall war. Wir haben sehr viel einzelnen Persönlichkeiten wie Alfred Escher zu verdanken. Was Escher geleistet hat, ist unglaublich, wenn man heute zurückschaut. Was er für den Gotthardtunnel getan hat, für die ETH, für die CS, gut, das ist im Moment ein schlechtes Beispiel, aber was eine einzelne Person alles auslösen konnte, ist unglaublich.
Auch was für eine Gründung die Schweiz ist. Die moderne Schweiz ist entstanden, weil sich 50 Leute für ein paar Wochen zusammengesetzt haben und das nach einem Bürgerkrieg, das darf man nie vergessen. Der Sonderbundskrieg von 1847 war ein Bürgerkrieg in der Schweiz. Sich ein paar Jahre später zusammenzusetzen und zu sagen: «Jetzt gründen wir ein modernes Land». Das ist mega beeindruckend. Ich glaube, durch die Sicherheit, die wir heute haben, hat dieser Geist, der die Schweiz extrem ausmacht, manchmal ein bisschen gelitten. Man hat auch das Gefühl, okay, warum sollen wir uns so anstrengen?
Wie schätzt du die Rahmenbedingungen für Startups ein?
Nicht schlecht, ich glaube wir stehen wirklich nicht schlecht da. Es gibt diejenigen, die immer noch lamentieren. Ich habe den Eindruck, dass die Lebensqualität hoch ist. Es ist relativ einfach, Leute zu rekrutieren, die hier am Standort Zürich, am Standort Schweiz arbeiten. Du hast hohe Personalkosten. Aber du hast gute Leute, die dafür kommen. Du hast Universitäten, die international zu den besten gehören. Es kommen immer mehr Leute auf den Markt, die du direkt für deine Organisationen rekrutieren kannst. Das ist fantastisch.
Ich glaube, das Steuersystem ist auch kompetitiv. Ich habe das Gefühl, im Bereich Risikokapital haben wir ein bisschen ein Problem. Die erste Phase ist relativ problemlos zu finanzieren, bis vielleicht 10 Millionen. Erst «friends and family», anschliessend kommen die ersten Venture Capitalists (VCs) ins Spiel. Aber dann, wenn es in die grösseren Zahlen geht wird es schwieriger. Dann ist man dann schnell einmal in Berlin, den USA, Israel oder London.
Vielen Dank für das Gespräch, Nicola.
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