Talk – Finanzielle Bildung der Schweizer (Jugendlichen)
Zu Gast bei uns ist Michael Kendzia, Ökonom und Studiengangleiter BSc International Management an der ZHAW. Heute sprechen wir über ein faszinierendes Thema – finanzielle Bildung, insbesondere bei Jugendlichen.
Finanzkompetenz in der Schweiz und weltweit
Felix: Bevor wir ins Detail gehen: Wie steht es um die Finanzkompetenz in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern?
Michael: Die Finanzkompetenz in der Schweiz und weltweit ist bescheiden. Die FLAT-Studie (Financial Literacy around the World) hat gezeigt, dass die Welt flach ist, zumindest wenn es um Finanzbildung geht. Allerdings waren die Ergebnisse für Deutschland und die Schweiz mit 50 Prozent richtigen Antworten vergleichsweise noch gut.
Felix: Du hast auch an einer Studie zur Finanzkompetenz von Jugendlichen in der Schweiz mitgearbeitet («Financial Literacy Among the Youth in Switzerland»). Warum ist das ein so spannendes Thema?
Michael: Ja, das ist in der Tat ein spannendes Thema, vor allem wenn man bedenkt, dass 70 Prozent der Generation Z noch nie eine Aktie besassen.
In der Umfrage haben wir folgende Fragen gestellt:
- Wenn du heute 100 Dollar hast, die zu 2 Prozent verzinst werden: hast du dann in einem Jahr mehr, weniger oder gleich viel?
- Wenn du jetzt wieder diese 100 Dollar hast und du lässt sie auf dem Sparkonto mit 2 Prozent Zinsen, aber gleichzeitig herrscht es eine Inflation von 3 Prozent: hast du dann im nächsten Jahr mehr, weniger oder gleich viel?
- Ist es sicherer, in eine Aktie zu investieren oder in einen Fonds mit mehreren Aktien?
Drei ganz einfache Fragen, und doch fällt es vielen Menschen schwer, sie richtig zu beantworten. Warum ist das eigentlich so? Warum ist die Finanzkompetenz mit nur 50 Prozent richtigen Antworten so bescheiden, vor allem in den entwickelten Ländern?
Geschlechterunterschiede in der Finanzkompetenz
Felix: Eure Studie hat auch Geschlechterunterschiede bei der Finanzkompetenz untersucht. Welche Erkenntnisse habt ihr dazu gewonnen?
Michael: Interessanterweise neigen Männer dazu, ihre Fähigkeiten zu überschätzen, während Frauen realistischer sind. Das spiegelt sich auch in der Anlagestrategie wider. Männer traden häufiger und überschätzen sich eher, was zu höheren Kosten führt. Frauen hingegen haben oft eine ruhigere Hand und erzielen dadurch oft bessere Ergebnisse.
Dies wurde übrigens auch in einer Studie von Brad M. Barber und Terrance Odean («Boys will be Boys») nachgewiesen. Overconfidence ist ein starkes psychologisches Element, das bei Investitionen grossen Schaden anrichten kann. Eine ruhige Hand ist wichtig, besonders wenn es um Geld geht.
Vorteile der finanziellen Bildung für Jugendliche
Felix: Warum ist eine frühe Finanzbildung für Jugendliche so wichtig?
Michael: Jugendliche haben den Vorteil, dass sie viel Zeit zum Investieren haben. Frühzeitige finanzielle Bildung ermöglicht es ihnen, die Grundlagen des Geldmanagements zu verstehen. Es ist interessant zu sehen, dass viele Jugendliche noch keine Berührungspunkte mit Aktien haben, aber das ändert sich mit der Zeit. Eine 2015 in den USA durchgeführte Studie hat gezeigt, dass die Finanzkompetenz erst mit 60 oder Anfang 70 ihren Höhepunkt erreicht. Danach nimmt sie wieder ab. Das hat auch damit zu tun, dass die Menschen in diesem Alter oft das meiste Geld haben. Der Reichtum konzentriert sich, zumindest in der Schweiz, auf die Älteren. Bei den Jüngeren ist es weniger, aber es macht trotzdem Sinn, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Auch für die Jungen ist es wichtig zu wissen, was Investieren bedeutet. Sie haben den Vorteil, dass sie noch viel Zeit zum Investieren haben.
Felix: Als Leiter des Studiengangs International Management – wie integrierst du finanzielle Bildung in euer Curriculum?
Michael: Unsere Studierenden werden in Fächern wie Accounting, Finance und Statistik unterrichtet. Finanzielle Führung ist entscheidend für Unternehmen, daher möchten wir sicherstellen, dass unsere Studierenden gut darauf vorbereitet sind.
Die Gefahr der Überschätzung beim Trading
Felix: Überschätzung kann beim Trading problematisch sein. Wie kann man dem entgegenwirken?
Michael: Überschätzung, insbesondere bei Männern, ist ein psychologisches Phänomen. Passive Anlagestrategien wie der Einsatz von ETF können dazu beitragen, diese Überschätzung zu reduzieren. ETF bieten breite Diversifikation zu niedrigen Kosten. Sie ermöglichen es auch weniger erfahrenen Anlegern, am globalen Wirtschaftswachstum teilzunehmen. Passive Anlagestrategien mit ETF sind langfristig oft erfolgreicher als aktives Trading.
Demut auf dem Finanzmarkt
Felix: Michael, du hast das Stichwort «Demut» angesprochen. Kannst du erklären, warum Demut eine wichtige Eigenschaft auf dem Finanzmarkt ist?
Michael: Demut spielt gerade im Umgang mit Finanzen und Investitionen eine entscheidende Rolle. Es geht darum zu erkennen, dass selbst Profis Schwierigkeiten haben, den Markt vorherzusagen. Die Illusion, die beste Aktie zu finden oder den perfekten Ein- und Ausstiegszeitpunkt zu identifizieren, mag verlockend klingen, ist aber extrem schwierig. Bescheidenheit hilft, realistische Erwartungen zu haben und die Komplexität der Finanzmärkte zu erkennen.
Der Markt ist volatil und wird von vielen Faktoren beeinflusst, die oft schwer vorherzusagen sind. Es ist wichtig zu verstehen, dass Timing oft Glückssache ist und nicht dauerhaft reproduziert werden kann.
Finanzkompetenz bei Jugendlichen
Felix: Wie steht es um die Finanzkompetenz bei Jugendlichen?
Michael: Die Finanzkompetenz der Jugendlichen ist durchwachsen, weil Geld und Investitionen in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema sind. Aber es gibt Hoffnung, denn das ändert sich im Laufe des Lebens. Mit wachsenden finanziellen Verpflichtungen wie Miete, Auto und Familie treffen junge Menschen immer komplexere Anlageentscheidungen. Es ist wichtig, dass Eltern und Schulen diese Entwicklung unterstützen und die finanzielle Bildung fördern.
Kinder und Jugendliche als Investoren
Felix: Darf ein Jugendlicher deiner Meinung nach schon mit 15 Jahren investieren? Wie würdest du mit dieser Frage umgehen?
Michael: Die Investitionsfähigkeit junger Menschen hängt von verschiedenen Faktoren ab. Für Studierende, die sich oft in einer Umbruchphase befinden, kann es sinnvoller sein, in die eigene Ausbildung zu investieren. Studien zeigen, dass die durchschnittliche Haltedauer von Aktien in den letzten Jahren stark gesunken ist und junge Menschen flexibel bleiben wollen/müssen. Es ist wichtig, die individuelle Situation zu berücksichtigen und nicht nur in Aktien, sondern auch in die eigene Entwicklung zu investieren.
Finanzkompetenz von Kindern fördern: Bücher als Wegbereiter
Felix: Du hast Bücher als eine Möglichkeit erwähnt, Finanzkompetenz zu fördern. Gibt es Bücher, die du besonders empfehlen würdest?
Michael: Bücher sind eine ausgezeichnete Quelle für die finanzielle Bildung von Kindern. Das Buch «Geld zu verkaufen» von Juventute eignet sich besonders für Kinder im Alter von 4 bis 8 Jahren. Es vermittelt spielerisch den Umgang mit Geld. Solche Bücher können Kinder auf unterhaltsame Weise für Finanzthemen sensibilisieren und sind eine gute Ergänzung zum Schulunterricht.
Felix: Vielen Dank, Michael, für dieses aufschlussreiche Gespräch über finanzielle Bildung.
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